– ein Beitrag vom Vorsitzenden und Vereinsturnierteilnehmer Kai Krüger –

Schach ist ein schönes Spiel. Schöner als die vielen Daddel-Spiele am Computer und auf dem Smartphone. Leider machen diese Medien schneller süchtig und halten so manch einen potentiellen Schachspieler davon ab, sein Potential abzurufen.

Das Schöne bei uns im Verein ist, dass Ausnahmen die Regel sind. Zwei junge Spieler haben sich in die erste Mannschaft und in die A-Gruppe des Vereinsturniers gespielt. Das zeigt, dass unser Verein lebt und qualitativ wieder wächst. Man merkt dies auch am Zusammenhalt in den beiden Mannschaften und an der Geschlossenheit der Spieldisziplin im Vereinsturnier.

Einer unserer beiden Youngster hat mich im Vereinsturnier in der Runde 6 herausgefordert, Christian Devic. Und da sind wir wieder bei dem Schönen am Schach. Vor einem Jahr noch „leichte Beute“, hat er mich am 3.2.14 heftig in die Defensive gedrängt. Was für ein Glück, dass eine Dame nur im realen Leben unentbehrlich ist. Begonnen hat es mit meiner früheren Lieblingseröffnung als „Schwarzer“, der Nimzowitsch-Verteidigung. Da mag ich Hübners Blockadeplan so gern, seit ich Anfang der Neunziger des vorigen Jahrtausends – oh mein Gott, da war ich so jung wie Christian heute – auf einem internationalen Open den russischen Turnierfavoriten mit ELO 2460 ins Dauerschach getrieben habe. Christian war schlauer als der russische IM und verhinderte mit 5. d5 die Entwicklung meines Springers nach c6, mit dem ich den weißen Doppelbauern c4 auf der c-Linie nach La6 und sodann Sa5 langfristig anknabbern wollte. Die schöne Erinnerung trieb mich zur Zugumstellung. Ich wollte das Bild unbedingt haben und führte den anderen Springer über g8-f6-e8-d6-b7 nach a5. Wir Schachspieler könne alle zählen: das sind FÜNF Züge statt ZWO! Da 13. … Sb7 schon der vierte Springerzug war, hatte Christian also in der Eröffnung zwei Tempi gewonnen. Da Schach so ästhetisch ist, beschloss ich, alle meine schwarzen Bauern auf die schwarzen Felder zu stellen. Das hatte ich bis zum 18. Zug vollendet, das sah aus wie beim Dame-Spiel, und auch Christian lächelte über meinen spontanen Kommentar.

Dann kam ich allerdings so langsam darüber ins Grübeln, ob Schönheit und Ästhetik wirklich immer auch gleichbedeutend mit guten Erfolgsaussichten sind. Christian hatte inzwischen – so ist das eben beim Nimzo-Inder – eine Großmacht an Spielfiguren auf den Königsflügel geschickt, um meine schöngeistigen, aber zeitraubenden Manöver auszunutzen. Ich beschloss, meinen König aus dem Feuer zu nehmen und zog 19. … Kf7. Hui, da hing er dann fest und verbaute den anderen Figuren irgendwie auch wieder den sinnvollen Stellungswechsel. Ich weiß bis jetzt nicht – weil ich ja Schachcomputerstellungsberechnungen als Naturbursche ablehne – ob Christian im 20. Zug mit Erfolg den Springer hätte opfern können. Christian hat da keinen durchschlagenden Erfolg gesehen. Ich „schön“, er „rechnen“!  – (Anmerkung der FRITZ-unterstützten Redaktion: Christian hat recht!)

Zu sehen ist das Diagramm nach dem 24. Zug. Besser kann sich der Weiße eigentlich nicht aufbauen, während der Schwarze seine Figuren irgendwie so weit weg vom Schuss platziert hat. Vielleicht ist Hübners Blockadeplan ja ein bisschen zu nostalgisch… Christian zog 25.Sf4. Cool! Beim Golf wäre das der Ball, den man gezielt auf g6 oder e6 einlochen möchte! Die weißen Türme mochte ich nicht, so dass 25. … Txh3 26.Txh3 Txh3 folgte. Christian lochte den Springer mit 27.Sg6 ein. Und jetzt bemerkt der Leser, wie feinverwoben dieser Bericht gehäkelt ist: Damen sind kostbar, aber nicht unentbehrlich. Wenn ich die Dame rette, stehe ich echt doof da. Anders als im richtigen Leben könnte Weiß den Turm zurückschlagen und mit seiner Dame nach h5 zur Attacke blasen, mit Aussicht auf Materialgewinn. Mein König käme nicht rechtzeitig aus dem Abzug weg. Schietwetter für Schwarz, also Scheidung von der Dame beantragen und das Sorgerecht für die kleineren Figuren sichern: 27. …   Txd3 28.Sxe7 Txd2 29.Dxd2 Kxe7.

Zu sehen ist das Diagramm nach dem 29. Zug. Gewitter vorbei, Sonne scheint wieder. Und jetzt könnt Ihr alle sehen, warum Schach so schön und ästhetisch ist. Alle schwarzen Bauern sind immer noch auf den schwarzen Feldern, wie bei dem Dame-Spiel. Was nach der Scheidung bleibt, sind Erinnerungen an die Dame mit Bildern, die als geistige Fotos das Herz erwärmen. Und dann war da doch noch etwas… ja was denn… ja! HÜBNERS BLOCKADEPLAN!!! Das Ziel, den weißen Angriff am Königsflügel unbeschadet zu überstehen und anschließend Jagd auf den schwachen c4-Bauern zu machen. Der schwarze König wird sich auf c7 verstecken können und La6 und Sa5 fegen vor der Haustür.

Drei Figuren gegen die Dame. Die Asymmetrie der Figurenkonstellation mit drei Figuren für die Dame im Zusammenhang mit der statischen Bauernstruktur ist ein Lehrbeispiel dafür, wie unterschiedliches Material zueinander im Verhältnis steht. Die weiße Dame wird brandgefährlich, sobald der schwarze König ungeschützt ist. Die schwarzen Figuren können im Zusammenspiel miteinander Bauern erobern, solange sie den eigenen König dafür nicht zu sehr verlassen müssen.

Christian entschied sich dafür, mit dem König den langen Marsch á la Mao über f2, g3, g4, h5, g6, f7, e7 zu gehen und Druck in meine Stellung zu pumpen. Mao Christian gegen Chiang Kai Shek. Vom russischen IM zum chinesischen Staatsführer, und die Redaktion gibt bekannt, dass die Benennung von Persönlichkeiten keinen Hinweis auf politische Einstellungen beinhaltet und sie jegliche auch nur versteckte Absicht hierzu auf´s Schärfste von sich weist. Und die Mauer, ja das sind in Wirklichkeit meine schwarzfeldrigen schwarzen Bauern gewesen. Während der weiße König seine Kontrollrunde über das Spielfeld drehte, schnappte das Zusammenspiel meiner Leichtfiguren am Damenflügel die weißen Bauern erst auf c4 und dann auf a4 weg. Nachdem der weiße König im 38. Zug auf e7 angekommen war, musste Christian sich fragen, was er denn nun aktiv tun konnte. Der schwarze König war sicher in seiner Festung versteckt, alle weißen Bauern hatten keine echten Optionen, außer auf die fiesen schwarzen Offiziere zu warten. Alles was der Weiße hatte, war eine völlig freie Dame, die unbeschwert über das Spielfeld tanzen konnte, in der Hoffnung, der Schwarze würde irgendwo ein Loch hinterlassen, in das sie schlüpfen könnte. Nee nee nee nee neeeh! Ich hab die Dame tanzen lassen, weil die Damen das ja so anmutig können. Vom 33. Zug bis zum 53. Zug über e1, e2, b2, e2, c2, b1, h1, b1, h1, h8, a8, a1, g1 zurück nach e1. Da ging ihr die Puste aus. Für Insider: Das ist wie im Mannschaftskampf im Januar unten in der BBS, wenn gleichzeitig oben Tango getanzt wird. Mit genug Sitzfleisch und Watte in den Ohren behält man die Oberhand, denn in der Ruhe liegt die Kraft!

Zu sehen ist das Diagramm nach 50. … Kb6. Der schwarze König steht sicher und zwei schwarze Freibauern stehen abmarschbereit. Christian erkämpft mit 51.Dg1 sein erstes Schachgebot. Mir fiel zuvor auf, dass der d6-Bauer wichtig geworden ist. Meine drei Leichtfiguren schützen nicht nur sich selbst und den König, sondern blockieren auch die d-Linie. Nach 51.Dg1+ Sbc5 52.Kxd6 b3 53.De1 c3 sind die schwarzen Freibauern sprichwörtlich „durch“. Kiebitze dürfen nachdenken, warum 54. Dxc3 nicht geht und warum ich im 51. Zug durch Sbc5 den scheinbar wichtigen Bauern auf d6 aufgegeben habe. Christian gab nun nach langem Marsch und unbeschwertem Tanz auf. Hübners Blockadeplan und das Brettspiel „Dame“ sind eben nicht zu unterschätzen.

Christian, ich danke Dir für die schöne Partie und den schönen Abend!

 

Und um diese Partie ging es:

Devic,Christian – Krüger,Kai: 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.e3 c5 5.d5 Lxc3+ 6.bxc3 e5 7.e4 0–0 8.Ld3 Se8 9.Se2 b6 10.0–0 Sd6 11.Sg3 La6 12.De2 f6 13.a4 Sb7 14.f4 d6 15.f5 De7 16.Tf3 Sd7 17.Sh5 g5 18.Tg3 h6 19.h4 Kf7 20.hxg5 hxg5 21.Ld2 Th8 22.Kf2 Tag8 23.Th3 Th7 24.Tah1 Tgh8 25.Sf4 Txh3 26.Txh3 Txh3 27.Sg6 Txd3 28.Sxe7 Txd2 29.Dxd2 Kxe7 30.De2 Kd8 31.Kg3 Sa5 32.Kg4 Lxc4 33.De1 Kc7 34.Kh5 Lb3 35.Kg6 Lxa4 36.De2 c4 37.Kf7 Lb5 38.Ke7 Sb7 39.Db2 a6 40.De2 Sbc5 41.Dc2 La4 42.Db1 Lb3 43.g4 a5 44.Dh1 La4 45.Db1 b5 46.Dh1 b4 47.cxb4 axb4 48.Dh8 Sb7 49.Da8 Lb5 50.Da1 Kb6 51.Dg1+ Sbc5 52.Kxd6 b3 53.De1 c3 und Weiß gab auf. – Mit 27. Sxh3 (anstelle von Sg6) wäre Weiß auf dem Pfad der Tugend geblieben.