– Dustin berichtet über das Turnier in Lüneburg –

Wie bereits angekündigt, führte mich der Weg direkt vom FC St. Pauli Open zum Schachturnier in Lüneburg. Dieses Turnier findet 2013 das erste Mal statt und wird organisiert von IM Jonathan Carlstedt und Martin Becker. Es bietet neben einem Open noch ein Seniorenturnier sowie ein IM- und ein GM-Turnier. Es ist bekannt schwierig, sich IM- oder GM-Normen zu erspielen, selbst wenn man die erforderliche Spielstärke bereits besitzt, da für eine Norm eine gewisse Zahl an ausländischen Titelträgern als Gegner nötig ist. Da die Organisatoren keine Mühen gescheut haben, die erforderlichen ausländischen Schachfreunde nach Lüneburg zu holen, ist es erfreulich, dass Spieler wie unser guter alter Bekannter Aljoscha Feuerstack oder der aktuell aufstrebende Rasmus Svane im GM-Turnier um Normen kämpfen konnten.

Ich selber trat selbstverständlich „nur“ im Open an, wo ich durch meine niedrige ELO-Wertung als 49. von 66 Teilnehmern gesetzt war. Unter den Teilnehmern fanden sich nicht nur einige GM´s und IM´s aus den vorher erwähnten Turnieren, sondern auch Deutschlands Aushängeschild im Frauenschach, WGM Melanie Ohme. Nicht zuletzt ihr war eine rege Medienpräsenz zu verdanken, besonders zwei sehr lobende Chessbase-Artikel sind wohl mehr, als man sich im Organisationsteam erhoffen konnte.

Das Turnier lief für mich etwas durchwachsen, ich bezeichne es im Nachhinein eher als Endspieltrainingscamp in Anbetracht dessen, dass ich von sechs Partien fünf spannende Endspiele auf dem Brett hatte, in denen ich wohl den einen oder anderen halben oder gar ganzen Punkt verschenkt habe. In der ersten Runde bekam ich erwartungsgemäß einen ziemlichen Brecher: Christian Schatz (2150) mit Schwarz zog mir durch sehr gute Theoriekenntnisse früh den Zahn und ich entschloss mich, in folgendes Endspiel abzuwickeln, mit dem ich eigentlich ziemlich zufrieden war. In dieser Stellung habe ich es erfolgreich geschafft, eine Blockade auf den weißen Feldern zu errichten; Schwarz schafft es nicht, seinen Turm zu aktivieren, da Weiß ohne Probleme durch Seitenschachs das Remis hält. Das einzige Problem an der Stellung war meine restliche Bedenkzeit von nur vier Minuten für den gesamten Rest der Partie, weshalb sich der hastige Zug Th6?? wohl erklären lässt. Nun kann Schwarz den g-Bauern mit Tempo ziehen und die Stellung ist nicht mehr haltbar, eine sehr bittere Pille!

In den Runden 2 und 3 bekam ich dann zwei U10- Jungtalente, die naturgemäß deutlich besser als ihre Wertungszahl spielten. Insbesondere Oliver Stork, meinem Gegner der dritten Runde, muss ich Respekt zollen. Oliver spielte wahrlich fehlerfrei bis ins Turmendspiel, so dass ich nach seinem vierten (!) Remisangebot einwilligte.

Nach diesen beiden Remisrunden war ich in Runde 4 hochmotiviert, dem Turnier endlich eine Wende zu geben. Ich bekam es mit Gregor Seifer (1950) zu tun. Er wählte die Colle-Eröffnung und belagerte mich folglich früh mit einem Königsangriff, den er leider etwa übermotiviert spielte und dabei einen Springer für zwei Bauern verlor. Kurz nach dem Gewinn dieses Springers hatte ich nach 30.Kg3 die Möglichkeit, mit 30. … e5! meinen Springer zu aktivieren. Ich hatte diesen Zug auch gesehen, doch hatte ich Sorge, dass sich nach diesem Zug eventuell zu viele Bauern liquidieren könnten. Ich zog fehlerhaft 30. … Tf6?, wonach ich nach 31.Te1 einfach sehr passiv stehe und es nicht einfach ist, Fortschritte zu machen. Nachdem ich wenig später die Türme tauschen konnte, hatte ich noch einmal die Chance, durch einige präzise Züge das Endspiel zu gewinnen, aber das Spiel endete arg ärgerlich in einem unnötigen Remis. Hier hat mir definitiv das kleine Quäntchen Technik gefehlt, um den vollen Punkt zu machen!

In der folgenden Runde gab es dann erneut ein Endspiel, diesmal für mich deutlich schlechter, nachdem ich gegen Ende des Mittelspiels zwei etwas ungenaue Züge wählte, die mich in eine deutlich passivere Stellung drückten. Nach 24. …Thd8 ist die Stellung mehr als kritisch, Schwarz droht zum einen Td3, dann das Springermanöver f5-d4, sowie die Läuferfesselung auf der Grundreihe. Hier fand ich einen Zug, auf den ich im Nachhinein sehr stolz bin. Nach 25. a4! drohe ich zum einen a5 mit Gegenspiel, sowie nach 25. … a5 – um dies nicht zuzulassen – kann ich mit T1a3 die wichtige dritte Reihe kontrollieren. Danach ist die Stellung zwar noch etwas schwieriger zu spielen, dürfte aber mit präzisen Spiel haltbar sein. Wenig später einigten mein Gegner und ich uns auf mein nun viertes Remis in Folge. (Anmerkung: hier wurde leider kein Diagramm übermittelt; es wird vielleicht nachgeliefert).

Nun kam es in der sechsten Runde definitiv zu meiner frustrierendsten Partie. Gegen Klaus-Dieter Kühl, der lange Zeit auf einem Niveau von 2100 spielte, ergab sich eine sehr eintönige Partie im Abtausch-Slavisch. Wir fanden uns in folgendem Endspiel wieder, in dem ebenfalls eigentlich nicht viel los ist. Hier stand ich vor der Wahl, das sichere Sb8 zu spielen oder das etwas riskantere La8. An dieser Stelle sah ich jedoch eine 7-zügige Zugfolge, von der ich dachte, dass sie forciert mindestens Remis ist, bei einem Fehler meines Gegners sogar gewonnen. Nach vier weiteren Zügen war ich immer noch in meiner vorher berechneten Variante, die letzten Züge waren 28. … Kf7 29. Lc6 (Der Umstand, dass ich den König nach f7 und nicht f8 zog, sollte sich noch rächen). Prinzipiell wollte ich einfach nur einen Wartezug spielen, um meinen Gegner in meine Variante zu locken. Nach dem Abtausch auf c6 spielte ich meinen vorher geplanten Zug 30. … Sc4. Hier dachte ich, Weiß muss 31.Kf2 spielen, um nach Sd2 nebst Sxb3 ins Remis einwilligen zu müssen. Mein Gegner schlug jedoch ohne nachzudenken den Springer auf c4 und verfiel nach 31. … b3 in eine Art Schockstarre. Er hatte das Motiv und die Gefahr des b-Bauern offensichtlich nicht mal in Erwägung gezogen, was meine schließliche Niederlage doppelt bitter macht. Hier hatte ich mich bereits auf die Aufgabe meines Gegners gefreut, nur um nach Se5+ und Sf3 erkennen zu müssen, dass meine Bauern gar nicht durchlaufen können, denn Weiß blockiert mit Sd2 und Sb1 die Stellung. Ich hatte in der ersten Stellung, in der ich die ganze Variante vorherberechnet hatte, nur Sd3 und nicht Sf3 gesehen, wonach die Bauern ohne Probleme durchgelaufen wären. Eine sehr ärgerliche Niederlage, die sich mit 28. … Kf8 statt Kf7 hätte vermeiden lassen. Mein Gegner hätte wohl genauso wenig nachgedacht beim Schlagen meines Springers und die Partie wäre nach b3 vorbei gewesen.

Nach dieser sehr schmerzvollen Niederlage meldete ich mich sofort für die kommende letzte Runde ab. Das war kein feiner Zug, aber der Verlauf dieser Partie war für mich emotional einfach zu schmerzvoll. Zusammenfassend muss ich trotz des vom Ergebnis miesen Ausgangs für mich festhalten, dass das Schachturnier neue Maßstäbe gesetzt hat, was Rahmenprogramm und Spielumstände angeht. Mit sensationellen 24 Livebrettern mit Übertragung ins Internet bieten die Organisatoren eine faszinierende Zahl auf, an die bisher nur das Deizisau-Open in Stuttgart, das größte Open in Deutschland von den Turnieren, die ich bisher auf dem Buckel habe, auch nur annähernd herankommen konnte! Aber damit nicht genug, durch diese Livebretter wurde ein ganzer Übertragungsraum geboten, an dem gleichzeitig 6 der 24 Partien von Zuschauern verfolgt werden konnten, immer fleißig kommentiert und analysiert von Jonathan Carlstedt und den Anwesenden im Raum, eine tolle Sache! Des Weiteren versuchten sich die Organisatoren an einer live-Webshow täglich ab 14 Uhr für eine Stunde, in der Jonathan mit Gästen aus dem GM/IM-Turnier die Turniere und Partien durchging, um die Außenstehenden auf dem laufenden zu halten. Ich hoffe, gerade dieser Punkt wird im nächsten Jahr noch weiter ausgebaut, vielleicht sogar zu einer kompletten Live-Show zu den Partien? Auch beim Rahmenprogramm waren die Organisatoren dieses Turniers nicht nur bemüht, es zu vermarkten, sondern es als einen Urlaub für die ganze Familie zu gestalten! Mit einem tollen Essen unter dem Motto eines spanischen Abends oder beim gemütlichen Beisammensein an der Bar gab es neben angebotenen Seminaren vom GM Rausis genug zutun auch neben dem Schachbrett!

Es ist ein Jammer, dass so ein liebevoll organisiertes Turnier nur 66 Teilnehmer im Open hatte, doch mit der großen Medienpräsenz in Zeitungen und Chessbase-Artikeln erhofft man sich im nächsten Jahr (das Turnier ist bereits fest geplant für Anfang August 2014) einen deutlichen Schub bei der Teilnehmerzahl, vielleicht dann gar mit 9 statt nur 7 Runden!

Besonders freuen kann man sich aus Eckernförder Sicht über den Sieg von Aljoscha Feuerstack im GM Turnier (leider ohne GM Norm), hauchdünn vor dem jungen Malte Colpe vom Hamburger Schachklub. Über Maltes Ergebnis freute ich mich besonders, da ich ihn schon eine Weile von Hamburger Jugendmeisterschaften kenne. Malte erspielte sich im großen Stil seine erste IM-Norm und wird sicher hochmotiviert im August beim Lichtenberger Sommer, an dem ich ebenfalls teilnehmen werde, seine zweite folgen lassen!