– Ein Bericht von Dustin Möller – 

Das Kieler Open ist seit vielen Jahren eine feste Größe im Turnierkalender vieler Schleswig-Holsteiner und insbesondere Eckernförder. Die 28te Austragung fand abermals im Ruderclub Germania mit bestem Blick auf die Förde statt. Ungewöhnlich schlechtes Wetter ersparte allen Schachspielern die ansonsten gewöhnungsbedürftigen Spielbedingungen der letzten Jahre. Regenschauer und kühle Temperaturen, bestes Schachwetter also! Trotz der etwas unglücklichen Terminüberschneidung mit dem teilnehmerstärksten Turnier im Norden, dem St. Pauli Open, fanden sich mit 83 Teilnehmern im A-Open und 49 im B-Open mehr als genug Spielwillige ein. Eine erfreuliche Bestätigung für die Organisatoren der Kieler SG.

Unter diesen 132 Teilnehmern befanden sich, neben dem Nationalspieler und Turnierfavoriten David Baramidze, zwölf weitere Titelträger sowie Ausnahmetalente wie Jonah Krause und Arne Bracker. Von Eckernförder Seite traten dieses Mal lediglich 3 Musketiere an. Während Holger Hogreve sich anschickte, im B-Open seine Bestmarke von vier Punkten zu überbieten, suchten Manfred Homuth und meine Wenigkeit unser Glück im Oberhaus.

Der nachfolgende Bericht soll sich dabei auf meine Erlebnisse während des Turnieres fokussieren. Ich hätte diesem Artikel viele Namen geben können. „Das Leben und Leiden des Dustin M.“ wäre wohl am Passendsten gewesen. Es gibt einfach Turniere, in denen nichts den rechten Weg geht, man sich selber hinterfragt und Fehler begeht, die unbegreifbar sind. Ein Turnier wie der berühmte Elfmeter von Uli Hoeneß, um 2 Etagen verfehlt.

Dabei hatte es doch eigentlich gut begonnen! Erste Runde gegen IM Cliff Wichmann. Mit den weißen Steinen saß ich verständlicher Weise mit wenig Gewinnambitionen am Brett und vermochte es auch tatsächlich, die Stellung permanent im Gleichgewicht zu halten. 30 Züge klasse Schach und dann ist er da, der Moment X, welcher sich durch das gesamte Turnier als treuer Begleiter herausstellen sollte. Die Stellung ist komplett ausgeglichen. Beide Parteien haben keine Einbruchsfelder oder gar Pläne. Ich bedrohe den Bauern auf g4 und Ld3 ist der offensichtliche Zug, um den Bauern nicht zu verlieren. Es ist schwer zu erklären, warum ich stattdessen Td3 spielte, doch ich tat es und verlor diesen wichtigen Bauern, welcher sich für meinen Gegner als genug zum Sieg herausstellen sollte. Hätte ich Ld3 gespielt wäre die Partie wohl im Remis geendet und das gesamte Turnier wäre womöglich komplett anders verlaufen, ärgerlich!

Während die zweite Runde unspektakulär gewonnen wurde gegen einen deutlichen schwächeren Gegner, war es die dritte Runde, die mich bereits während des Spiels in tiefste Depressionen versetzte.

Wenn ich die weißen Steine führe, ist es normalerweise sehr schwer, mich in Bedrängnis zu bringen, doch eine derartige Demontage habe ich selten erlebt. Mein Gegner zog Sd3+, wohlwissend, dass ich den Sprimger nicht nehmen kann aufgrund der Mattdrohung auf e1. Meine Stellung ist trotz gleichen Materials in allen Aspekten verloren: Schlechtere Bauernstruktur, schwächerer König, fehlende Entwicklung. Befragt man den Computer, gibt er dem Schwarzen einen Vorteil von einer Mehrkönigin. Ungefähr zur Zeit dieser Stellung war ich bereits am Umordnen meiner Sommerpläne, das innerliche Streichen jedes Turniers in Planung, das war die einzige Beschäftigung, die man in einer solchen Stellung hat. Man kann ohnehin immer nur den einzigen Zug spielen und hoffen, dass der Gegner sich verzettelt. Zu meinem Glück tat er dies. Anstatt den Druck aufrecht zu erhalten und meinen König zu belagern, wickelte mein Kontrahent in ein Turm+Springer-Endspiel ab, in dem er lediglich zwei Bauern mehr besaß. Trickreich wie Springer nun mal sind, gelang es mir, einen Bauern zurückzugewinnen, was die Remischance wahrhaftig in greifbare Nähe rücken ließ. Das Ende der Geschichte ist die Stellung im Diagramm links, in der Schwarz in Zugzwang gerät und gar den zweiten ehemaligen Mehrbauern aufgeben muss. Ein sehr glückliches Remis!

 

In der vierten Runde wäre es fast um Manfred und mich geschehen. Zum ersten und einzigen Mal im Turnier spielten wir an nebeneinander liegenden Brettern. Während Manfred in der ersten Runde ein leichtes Los hatte, brachte ihm die zweite Runde das Glück, GM Stopa gegenüberzusitzen, der das Turnier bereits zwei Mal für sich entscheiden konnte. Die Partie konnte Manfred, wie zu erwarten, zwar nicht gewinnen, aber seine Buchholz-Wertung dankte es ihm bereits im Voraus! Am Vormittag des Sonntags bekam er es dann mit Jungtalent Lukas Wanner zu tun, gegen den er bereits in der vorletzten Saison den Punkt geteilt hatte. Abermals sollte es zu diesem Ergebnis kommen, auch wenn Manfred die große Chance auf einen Sieg im Endspiel entging.

Ich spielte gegen Sebastian Buchholz, der 100 Punkte über meiner Zahl gewertet ist. Mit den schwarzen Steinen wäre ich durchaus glücklich mit demselben Ergebnis wie Manfred gewesen. Es schien dem guten Moment X mal wieder an der Zeit zu sein und dieses Mal schlug er doppelt zu. Sowohl in dieser als auch der nächsten Partie war das Spiel für mich bereits nach einer Stunde vorbei. Jeweils 2-zügige taktische Schläge, die mir einfach nicht passieren dürfen! Beide Partien verlor ich und hatte zwei frühe Feierabende. Ich überlasse es dem Leser, die Sargnägel selber zu finden.

Am Abend der zuvor verlorenen fünften Runde zog ich den Rückzug aus einem Turnier zum zweiten Mal in meiner „Schachkarriere“ in Betracht. Es sind dabei nicht nur die reinen Niederlagen und besonders die Art und Weise, wie diese zustande kamen, sondern auch die Tatsache, dass es ab diesem Moment nur noch gegen schwächere Gegner gehen wird, was der DWZ nicht gut tut und einen selbst schachlich nicht ebenbürtig motiviert und fördert. Ich entschied mich, das Handtuch nicht zu werfen mit der Vorgabe, jetzt einfach aus meinen 1½/5 – 5½/9 zu machen.

Die sechste Runde war erwartungsgemäß wenig fordernd. Gegen einen 400 Punkte schwächeren Jörg Helmich gewann ich dessen Dame einzügig. Manfred indessen schickte sich an, nach den Sternen zu greifen. Nach der sechsten Partie hatte Manfred bereits vier Punkte. Zieht man den Minuspunkt gegen GM Stopa ab, also gar 4 aus 5 ! Die ausbleibende und so oft von Manfred beklagte Hitze zeigte ihre Wirkung, Manfred war bis zu diesem Zeitpunkt in bester Verfassung gewesen. Der zweite Minuspunkt setzte sich aus dem verschenkten Sieg gegen Lukas Wanner und der Punkteteilung mit FM Junge zusammen.

In Runde 7 saß mir mit Schwarz Hauke Rosenburg gegenüber, der im März auf der Landesmeisterschaft Matthias Braun noch um seinen Aufstieg brachte. Es entwickelte sich eine Stellung, wie ich sie gern habe: Positioneller Druck mit kleinen taktischen Finessen. Schwarz steht bereits arg unkoordiniert. Er würde gerne den starken Läufer auf e5 befragen und der Drohung f4 irgendwie vorbeugen, doch ist Sd7 leider sehr adäquat beantwortet mit Lh7#! Auch in der Folge blieb die Stellung ungemütlich für Hauke. Im wichtigsten Moment des Spiels fand er jedoch leider den besten Zug in der Stellung, der ihm das Haupt retten sollte. Ich war sehr stolz, e6 gefunden zu haben, um ehrlich zu sein! Der Trick ist, dass – wenn Schwarz den Bauern schlagen sollte – meine Antwort f6 den König hoffnungslos schutzlos lässt. Es würde die Bauerngabel auf f7 drohen, weshalb der König nach h8 ziehen müsste. Nach folgendem Dh5 mit der simplen Idee Dg6 f7 und Dh7# oder Dg8# ist das Matt nur unter höchsten materiellen Verlusten zu verhindern. Doch tat mir Hauke nicht den Gefallen, den Bauern auf e6 zu schlagen und zog stattdessen das präzise Df6. So schön die Stellung einst aussah, sie war nun im besten Fall für mich nur noch ausgeglichen. Mein einziger Vorteil war die Uhr. Bei 19 verbleibenden Zügen hatte mein Gegner lediglich 20 Minuten Bedenkzeit übrig. Es wird dieser Tatsache geschuldet sein, dass er mir Remis bot. Das Angebot zur Kenntnis nehmend, suchte ich in der Folge 40 Minuten nach Wegen, die Stellung kompliziert zu halten und ihn in der drohenden Zeitnot zu Fehlern zu verleiten. Leider fand ich keine Fortsetzung, die mich zufrieden stellte, da es Schwarz recht einfach fällt, sich zu entwickeln. In der Analyse im Verein mit Rolf und Eduard fanden wir dann heraus, dass Weiß den Bauern auf e6 tatsächlich opfern und mit einer Turmverdopplung auf der f-Linie dauerhaft Druck ausüben kann. Hätte ich dies in der Partie gesehen, wäre die Partie weitergegangen, so reichte ich meinem Gegner die Hand und stimmte der Punkteteilung zu.

Parallel hatte Manfred mit FM Giso Jahnke aus Preetz ein schwieriges Los gezogen. Ohne jemals tiefer in die Stellung geschaut zu haben, sah es für mich als Außenstehenden so aus, als ob Manfred mit den weißen Steinen früh in der Not war, sich gegen die Initiative seines Gegenüber zu wehren. Er verlor die Partie.

Die Runden 8 und 9 hielten für uns beide eine lustige Begebenheit bereit. Während Manfred gegen die eine Hälfte des aus Holland stammenden Geschwisterpaars Janse spielte, traf ich auf meine Hälfte des Geschwisterpaars Gutschenreiter aus Flensburg.

Es ist immer undankbar, bei solchen Turnieren gegen junge aufstrebende Spieler gepaart zu werden. Meistens sind diese nochmal 100-200 Punkte stärker, als ihre Zahl es vorgibt und kennen einen ganzen Batzen Theorie. Manfred wurde mit Schwarz Opfer dieses Eröffnungswissens in der Najdorf- Verteidigung, in der er mit einer von ihm nie zuvor gesehenen Variante konfrontiert wurde, was etwas heißen soll bei den Jahrzehnten Schacherfahrung, die Manfred innehat. Er remisierte beide Partien und beendete das Turnier somit etwas enttäuschend mit 5/9. Nach seinem fantastischen Start hatte Manfred sicherlich gehofft, am Ende nochmal den ein oder anderen halben Punkt mehr mitzunehmen. Es ist aber wie gesagt schwer einzuschätzen, wie stark die kleinen Flitzer Janse wirklich schon sind. Ich bin mir sicher, Manfred hätte gegen etwas ältere 2100er mehr als nur einen Punkt geholt in den beiden Schlussrunden, von daher darf man sich trotz eines DWZ-Verlustes von 11 Punkten nicht davon täuschen lassen, dass Manfred ein sehr starkes Turnier gespielt hat. Gegen insgesamt vier Jugendliche und drei Titelträger würden viele andere für 5/9 vor Jubel in die Förde springen.

Das Schicksal sollte es in der letzten Runde nochmal gut mit mir meinen. Der angesprochene junge Gutschenreiter prüfte mich mit seinem Königsindischen Aufbau. Im Königsinder ist der Verlauf der Partie meist vorgeschrieben. Weiß steht am Damenflügel sehr dominant. So dominant, dass – solange er dem Angriff von Schwarz auf dem Königsflügel standhält – praktisch auf Gewinn steht. Ich gewann zwei Bauern, kam dafür aber wie zu erwarten war in arge Bedrängnis. Es ist erstaunlich, wie verschieden die Einschätzung von einem selbst und der des Computers seien können. Nach Le3 sah ich 1001 Gespenster und Wege, wie mein König in den nächsten Zügen nach Dh4 und Sf4 das Zeitliche segnen wird. Dass ich den einzigen Zug fand, der die Partie im Gleichgewicht hält, macht mich doch recht stolz, da es keiner ist, der einem im ersten Moment ins Auge springt. Ich zog Ta3, um Dg5 mit Txe3 zu beantworten. Da ich zwei Bauern mehr hatte, wäre ein solches Qualitätsopfer durchaus spielbar. Ich hatte das Gefühl, dass es wichtiger ist, den Läufer zu eliminieren, anstatt an dem eigenen Mehrmaterial festzuhalten, richtige Entscheidung!

In der Folge gelang es mir, die gefährlichen Springer abzutauschen, was meinem König wieder Luft zum Atmen gewährte. Im Diagramm links fand ich zwar nur den zweitbesten Zug (Sc7 würde Weiß klaren Vorteil bringen), doch gefiel mir mein letzter Zug d5-d6 ungemein. Wieder ein Zug, den man nicht als ersten Kandidaten im Kopf hat, löst er den starken gedeckten Freibauern doch von seiner Kette. Ich hatte das Gefühl, trotz des etwas konsolidierten Königsflügels noch in der Not zu sein, in irgendeiner Weise Gegenspiel zu organisieren. Der Sinn von d6 ist, das Feld d5 für die Dame zu räumen, wo sie wahrlich vorzüglich stände. Schwarz reagierte mit Lc6, was den Läufer aus jeglichem Angriffsspiel am Königsflügel entfernte und zugleich den Weg des Bauern nach d8 frei machte. Mein Gegner bot mir hier Remis. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch 9 Minuten für 11 Züge, durchaus prekär in einer derartig komplexen Stellung. Ich empfand es aber als unpassend, das Turnier und besonders eine so umkämpfte Partie mit einem friedlichen Handschlag zu beenden: Ich zog ohne nachzudenken Sc7 und tat recht so, die weiße konnte ich trotz Zeitnot zu einem klaren Vorteil verwerten. Ich hatte antizipiert, dass mein Gegner auf g2 den Turm opfern würde und den zweiten hinterher ziehen, Schach bieten und dann mit Dame und Turm auf Matt gehen wollen würde. Nach Kxg2 und Tg7+ hatte ich noch 90 Sekunden, um das rettende Ufer, den 40. Zug, zu erreichen. Hier galt es, in kürzester Zeit zu prüfen, ob ich mit Dxg7 die Dame geben muss, um in das Endspiel mit Turm+Springer+2 Bauern gegen Dame zu gehen oder ob ich nicht Matt gesetzt werde, wenn ich nach Tg7+ Kf1 spiele. Letzeres war meine Schlussfolgerung. Es ist schön, zumindest am Ende des Turnieres in Momenten des höchsten Drucks die besten Entscheidungen getroffen zu haben. Schwarz kann nach Kf1 zwar einige Schachs geben, aber er kann sein Minusmaterial niemals zurückgewinnen, ohne selber Matt zu gehen oder – wie geschehen – in ein Turmendspiel mit zwei Bauern weniger abzuwickeln. Ein beschwichtigender Sieg zum Ende dieses für mich doch schwierigen Turniers.

Fassen wir also zusammen! Manfred spielt ein hervorragendes Turnier mit 5/9, während ich mit 4½/9 gegen deutlich schwächere Gegner als Manfred eine durchwachsene Woche hinter mir habe. Holger Hogreve holte 5/9 Punkte und stellt somit seine neue Bestmarke auf. Ein nettes DWZ-Plus gab’s als Kirsche obendrauf. Jedes Mal, wenn ich in Momenten der Depression von meinem eigenen Brett rüber in den B-Saal ging, um bei Holger zu kiebitzen, schaute er mich mit gezuckten Schultern und entschuldigender Geste an. Zumindest tat er dies, bevor er in den letzten drei Runden drei Siege davontrug. Klasse Endspurt Holger!

Erwartungsgemäßer Sieger wurde David Baramidze, der mit 8 Siegen und 2 Remis das Turnier souverän vor Alexander Dgebuadze und Zigurds Lanka für sich entscheiden konnte.

Ein besonderes Lob ist in diesem Jahr dem Organisationsteam auszusprechen. Nicht nur ist die ehrenamtliche Arbeit der Kieler SG, insbesondere von Bernd Schramm und Hans-Jürgen Hahne bewundernswert, sie wurden dieses Jahr erstmalig von Gerhard Meiwald als Schiedsrichter unterstützt, der kürzlich den Aufstieg zum nationalen Schiedsrichter und zum Referenten für Seniorenschach vollbrachte. Es ist beeindruckend, wie Hahne und Meiwald zu Zweit sämtliche Partien noch während des Turniers als Datei zum Herunterladen anbieten konnten. Man darf sich vorstellen, was das für einen Aufwand darstellt, täglich 65 Partien eingeben zu müssen. Die Teilnehmer danken es mit Kusshand, da es eine bessere Vorbereitung auf die Gegner anhand der vorigen Runden ermöglicht. Danke an dieser Stelle für diese Mühe und bis nächstes Jahr!

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Die Eckernförder Zeitung veröffentlichte am 06.06.15 den folgenden Artikel über die Simultanvorstellung von Edmund Lomer. Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags übernehmen wir den Artikel auf unsere Website. Der Artikel und das Foto stammen von Andrea Lange.